Paartherapie

Irrtümer in der Paarberatung: Wir müssen das Gleiche wollen

Viele Paare ringen in erschöpfenden Prozessen um Entscheidungsfindungen. Sie sind bestürzt darüber, in zentralen Fragen keinen Konsens herstellen zu können. Diskussionen um Hausbau, Wohnortwechsel oder über die Inanspruchnahme von Beratung können den Eindruck erwecken,
der/die Partner*in wolle die Zustimmung erzwingen – oder sei gar nicht bereit „mitzuziehen“.

Wir ahnen oft nicht, auf wie vielen Übereinstimmungen unser Alltag bereits fußt. Während wir den Blick auf anstehende Weichenstellungen richten, kann er für das bereits Vorhandene verlorengehen.

 

So verflüchtigt sich unser freudiges Staunen darüber, dass der/die andere immer wieder an denselben Wohnort zurückkehrt wie wir. Wir vergessen, dass wir wie Fische im selben Wasser sind, wenn wir die gleiche Luft atmen. Wir überlassen uns vielleicht im selben Bett dem Bruder Schlaf in der Hoffnung auf Erholung und Regeneration – fühlen uns aber außerstande, nach einem Streit den Schlaf des anderen zu segnen…
Wie oft ehren wir unser Erwachen und das unserer Partnerin am nächsten Morgen? Oder machen uns bewusst, dass der Mensch – der uns zuweilen herausfordert – seine kurze Daseinsfrist gerade unserem Feld widmet?

 

Wie oft würdigen wir, dass uns Speisen geschenkt werden, die uns beide lebendig halten? Dass wir sie am selben Tisch einnehmen, um unseren Hunger zu stillen? Dass uns das gleiche Dach Zuflucht gewährt, während andere Menschen kein Zuhause haben?
Wir könnten unzählige Momente des Einklangs regelrecht miteinander feiern – der gleiche Geschmack bei Essen, Kleidung, Musik oder bei der Freizeitgestaltung; die Eintracht bei gleicher Weltanschauung oder Lebensführung; das Pflegen gleicher Freundschaften.

 

Und was, wenn es nicht „matcht“?
Wo wir uneins sind, könnten wir würdigen, dass sich Erfahrung von Unvereinbarkeit vermutlich für beide Seiten fordernd anfühlt. Stattdessen steigen wir in den Ring und mühen uns ab mit Optimierungs- und Verbiegungsversuchen. Der/die andere soll das Gleiche wollen. Die gleichen
Interessen haben, dieselbe Meinung vertreten. Im Bezug auf Paartherapie heißt es dann vielleicht:
„Er/sie soll mich nicht hängenlassen, sondern mitmachen. Aus freien Stücken!“ oder „Ich werde ihr/ihm schon zeigen, dass es nichts bringt.“
Wir halten uns damit auf der sogenannten relativen Ebene auf. In der Welt kausaler Zusammenhänge scheint es klare Ursachen und Wirkungen zu geben, Richtig und Falsch, Gewinn und Verlust. Da verkennen wir zum Beispiel den Einsatz eines Partners, der sich im Tanzkurs mit Schrittfolgen abmüht und in Verzweiflung oder Zorn gerät. Während sein Unmut in unseren Fokus gerät, könnten wir auch versuchen, die Liebe aufzuspüren, die in seinen Tanzversuchen verborgen liegt. Zählt die Grazie eines begnadeten Tänzers denn mehr als der bemühte Einsatz eines Menschen „mit zwei linken Füßen“ (wie er vielleicht sagen würde)?

 

Lasst uns tiefer schauen.
Das Gleiche zu wollen, dasselbe Ziel zu haben mag einfach seub im Rahmen von beruflichen Projekten, Fußballvereinen oder Studienreisen. Partnerschaft hingegen lädt dazu ein, über die Alltagsgewohnheiten hinauszublicken. Sie hält nicht immer die Schokoladentafel mit unserer
Lieblingsnote für uns bereit. Aber eine „falsche“ Geschmacksrichtung kann ein wunderbarer Anlass sein für den ehrlichen Austausch über persönliche Vorlieben. Sie kann beiden Seiten den Raum eröffnen für Neugierde und Großzügigkeit dem Anderssein gegenüber.

Beziehung lädt uns zum Reifen ein. Wir können über unsere Gewohnheiten und Vorlieben hinauswachsen, ohne uns selbst zu verlieren. Unser Geist (engl. „Mind“) ist eine unbegrenzte Instanz im Rahmen des beschränkten Menschseins. Offene Weite bietet er uns an. Wir dürfen enttäuscht
sein, wenn die Partnerin sagt „Nein, das möchte ich nicht mit dir machen. Das gefällt mir nicht.“ Aber wir müssen nicht mit unserer Enttäuschung identifiziert sein. Unser Erfahrungsraum kann sich weiten, wenn wir erkennen: in dem „Nein“ des anderen zu unserer Idee liegt vielleicht das „Ja“ zu sich selbst.

Wenn ein Paar bereit ist, dies immer wieder neu zu entdecken und anzuerkennen, kultiviert es einen Raum von Achtsamkeit und Wachstum. DAS ist dann das GLEICHE, das über zahllose Unterschiede hinausragt und über Meinungsverschiedenheiten erhaben ist.

 

Im Bezug auf Therapie und Beratung heißt das, dass wir uns gegenseitig inspirieren können – doch es gibt nicht den einen therapeutischen Zugang, der für alle Menschen gleichermaßen förderlich wäre.
Intuitive Personen etwa speisen ihre Introspektionsfähigkeit (Die Kompetenz, Einsichten zu erlangen) über das Gefühlte, Empfundene; andere bewegen sich über Logik und Verstand und richten sich nach Konzepten und Kausalzusammenhängen aus; wieder andere orientieren sich über Körper und Sinne und gewinnen Einblicke über die somatische Ebene.

 

Fazit
Wir wollen möglicherweise das Gleiche – aber es vermag sich in unterschiedlichen Gewändern zu zeigen. Die harmonische Balance zwischen Nähe und Distanz zum Beispiel drückt sich für eine bindungsorientierte Person anders aus als für eine autonomieorientierte. Entsprechend haben sie
unterschiedliche Wege zu gehen, wenn sie einer Annäherung zustimmen. Dabei könnten sie schon jetzt würdigen, dass sie das Gleiche wollen – nämlich eine Beziehungsführung im Gleichgewicht.

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