Mitziehen in der Paartherapie

Irrtümer in der Paarberatung: Wenn du nicht mitziehst, macht es keinen Sinn

Als ich im Jahr 2000 als Paar- und Familientherapeutin tätig wurde, war das Beratungsfeld vom Ruf nach „verbindlichen therapeutischen Settings mit allen Beteiligten“ durchdrungen. Andernfalls mache es keinen Sinn, hieß es, und das Fernbleiben einer Einzelperson sei Ausdruck deren Widerstands. Schon bald lehrte mich die Praxis, dass das Phänomen eines „Teilsystems“, das zum Gespräch erschien, nicht nur nachteilig für den Prozess sein musste.

Mögliche Vorteile für Familientherapie, „wenn eine/r nicht mitzieht“.

 

Die Verweigerung einzelner Familienmitglieder kann hilfreiche Aufschlüsse über die Systemstruktur eines Familiengebildes ermöglichen. Zum anderen erweisen sich engagierte Teilsysteme durchaus als arbeitsfähig. Eltern abwesender Kinder etwa können wunderbar in ihrer elterlichen Verantwortung und in ihrer Erziehungskompetenz gestärkt werden. Eben weil die Kinder – in den meisten Fällen die sogenannten Symptomträger*innen – nicht zugegen sind, können Erwachsene ungestört eigene Schwächen oder Fallstricke beleuchten. Das Gespräch über sich selbst, über die gemeinsame Elternschaft sowie über Paarthemen müssen nicht für Kinderohren „zensiert“ werden. Schließlich profitieren assoziative Übungen der Eltern im Sinne ihrer Kinder, und das Setting bietet den adäquaten Schutz für die elterliche Biographiearbeit (frühkindliche Prägung der Mutter/des Vaters, Aufspüren von Verstrickungen, Genogrammarbeit, Familienhistorie und Mehrgenerationenperspektive). Viele Kinder spüren oft sehr deutlich, an welcher Stelle ihre eigene Verweigerung dem Entwicklungsprozess ihrer Eltern in die Hände spielt. ;0)

 

Risiken der Paartherapie, wenn eine/r „nicht mitzieht“

In ebenbürtigen Beziehungen ist der Therapieaufbau komplexer als oben beschrieben. Wenn nur ein Partner anwesend ist, birgt das Gespräch gewisse Risiken. Der Klient könnte irrtümlich annehmen, im Therapeuten einen Verbündeten gegen den Partner zu finden. (Sollte dies gelingen, wäre von einer Fortsetzung der Gespräche mit diesem Therapeuten abzuraten.) Der Therapeut benötigt ein gewisses Geschick, um die anwesende Person in ihrer Enttäuschung abzuholen – und deren Blick dennoch auf die eigene Beteiligung am Paargeschehen zu richten.

 

Der abwesende Partner könnte sich bereits nach der ersten Sitzung „abgehängt“ fühlen oder

argwöhnisch werden. Es sollte klar kommuniziert werden (vom Therapeuten zum Klienten und zum abwesenden Partner), dass der Fokus innerhalb der Therapie eines Einzelpartners immer auf dessen Person, Haltung und möglicher Einsichtsgewinnung liegt.

 

Chancen auch bei ungleichem Engagement der Partner

Prinzipiell werbe ich bereits im telefonischen Erstkontakt dafür, dass beide Partner zum

unverbindlichen Erstgespräch kommen. Der Part mit der größeren Skepsis trägt möglicherweise wichtige Botschaften, die in seiner/ihrer Abwesenheit nur vermutet werden könnten. Dann wäre es doch besser, die eigenen Vorbehalte persönlich zu platzieren.

Sollte ein Partner mitkommen, jedoch keine Gesprächsbereitschaft zeigen, kann die andere Seite in aller Offenheit dazu befragt werden. „Welchen Sinn könnte das Verhalten meines schweigenden Partners machen? Warum mag er/sie wohl dennoch zugegen sein? Welchen Beitrag leiste ich womöglich zum Rückzug des anderen? Könnten Straf- oder Rachephantasien eine Rolle spielen? Wo könnte die Verletzung des anderen liegen? Ist das Schweigen vielleicht Ausdruck von Überforderung,

 

Resignation, Macht oder Ohnmacht? Ist es auch im Alltag zu finden?

 

Die Zurückhaltung eines Partners kann so zum Schlüssel für das Erkennen tieferliegender Themen werden.

Manche Paarberatungen münden dennoch im Einzelsetting. Und auch hierin liegen Chancen auf Veränderung. Die Systemische Therapie blickt auf stagnierte zwischenmenschliche Beziehungen wie auf ein Mobile, das zum Stillstand gekommen ist. Ganz gleich, welchem Element im Mobile wir einen Impuls verleihen – im Zuge dessen wird das gesamte System in Bewegung geraten.

 

Fazit

Wir sind mächtiger als wir oft meinen! Egal, an welcher Stelle wir den Kuchen anschneiden – seine Ingredienzien sind mit großer Wahrscheinlichkeit in jedem Kuchenstück aufzuspüren. Also fangen wir doch bei uns selbst an: beim Durchleuchten der eigenen Herkunftsgeschichte, beim Aufspüren unserer Verstrickungen mit früheren Schicksalsschlägen und beim Erkennen unseres eigenen Zutuns zu einer leidvollen Paardynamik.

Wir üben all dies im Feld größtmöglicher Güte mit uns selbst und mitfühlender Resonanz für den anderen. So kann jede Einsicht den Boden für authentisch gelebte Beziehung stärken. Auch dann, wenn der andere nur über die räumliche Distanz hinweg Teil des Geschehens ist.

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